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Das therapeutische Tertium und seine Funktion

Das therapeutische Tertium und seine Funktion

Was wirkt? Wer macht, dass es einem Klienten durch die Therapie besser geht? Der Klient selbst? Oder doch der Therapeut? Die therapeutische Beziehung? Irgendwelche Faktoren im Umfeld? Oder vielleicht etwas ganz Anderes? Will man das Thema näher beleuchten, stößt man in der Literatur auf den Begriff therapeutisches Tertium. Diesen erläutere ich in diesem Artikel – und keine Sorge: Theorie kann auch spannend sein. 

Die Inhalte dieses Blogartikels

Was ist das therapeutische Tertium?

Burkhard Peter, Psychotherapeut, Hypnotherapeut und Ausbilder für Klinische Hypnose bei der Milton Erickson Gesellschaft prägte 1998 den Begriff des therapeutischen Tertiums. Gemeint ist damit, dass es neben dem Therapeuten und dem Klienten noch eine dritte Instanz gibt, die in der Behandlung eine Rolle spielt - das Unterbewusstsein.

 

Klienten erleben Symptome häufig als nicht beeinflussbar. Auch die Lösungsfindung oder Heilung wird deshalb häufig einer Instanz außerhalb der eigenen Person (zum Beispiel dem Therapeuten) oder zumindest außerhalb des eigenen Bewusstseins (zum Beispiel dem Unterbewusstsein) zugeschrieben. 

Die bewegte Geschichte des therapeutischen Tertiums

Dass Heilung im Außen in einer übergeordneten Instanz gesucht wird, hat lange Tradition – gerade in der Hypnotherapie. Ärzte aber auch Priester spielten dabei eine besondere Rolle.

 

Wir beamen uns zurück in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Pater Johann Joseph Gassner ist der Überzeugung, dass Krankheiten durch den Einfluss böser Geister entstehen. Er hilft den Besessenen, indem er ein Exorzismus-Ritual vollzieht. Der Glaube an Jesus und das Anrufen der göttlichen Macht soll dabei helfen, den Dämon auszutreiben (sprich: die Symptome zu beseitigen). Zur Heilung benötigt es also den Klienten, den Priester, der das Ritual vollzieht, und die höhere göttliche Instanz.

 

Wenig später kommt Franz Anton Mesmer auf den Plan. Ein Arzt. Ein Wissenschaftler. Er geht davon aus, dass wir Menschen und alles um uns herum von einem unsichtbare Fluidum oder auch Lebensfeuer durchflossen ist. Dieses lässt sich durch Magnetisieren lenken. Damit es nun einem Kranken besser gehen kann, wird er mit der Hand berührt, wird nah über seinen Körper (heute würde man vielleicht sagen in der Aura) gestrichen, werden Bäder in Sand und Eisenspänen gefüllten Bottichen verordnet. Eisenstäbe werden dann auf die schmerzenden Stellen gerichtet. Ist genug magnetische Energie auf die Person eingeströmt, führt das zu einer Heilkrise, einer Katharsis. Und danach oft zur Besserung des Zustandes. So entstand Mesmers Theorie des Animalischen Magnetismus. Dieser ist gleichsam die dritte therapeutisch wirksame Instanz.

 

Wir spulen ein bisschen nach vorne hinein ins frühe 19. Jahrhundert, die Zeit der Romantik. Da passiert etwas Revolutionäres, was unserer heutigen Sichtweise gar nicht so unähnlich ist. Nicht mehr der Arzt oder Priester nimmt nun Kontakt zur dritten Instanz auf, sondern der Klient selbst. Der Therapeut wendet nur die Technik des „Magnetisierens“ an, um den Klienten in einen somnambulen Zustand zu bringen (quasi in Trance). Innerhalb dessen hilft er sich dann selbst, weil er mit dem „universellen Fluidum“, der sogenannten „Welt-Seele“ in Kontakt steht.

 

Wir springen jetzt etwa 65 Jahre nach vorne und landen am Ende des 19. Jahrhunderts. Rolle rückwärts. Man gelangt zur der Ansicht, dass psychische Erkrankungen direkt durch die Suggestion eines Arztes heilbar sind, ohne therapeutisches Tertium. Das prägt das Bild vom allmächtigen Therapeuten. Manche scheinen in dieser Zeit hängen geblieben zu sein.

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt Sigmund Freud den Übertragungsprozess. Er geht also davon aus, dass ein Klient Gefühle auf den Therapeuten überträgt, die eigentlich zu alten Beziehungserfahrungen gehören. In dem Fall ist die dritte Instanz eine imaginäre Person aus der Vergangenheit und das Ziel ist es, das Tertium als nicht gültige Illusion zu enttarnen. Sigmund Freud, zuerst sehr begeistert von der Hypnose, wendet sich übrigens davon ab. Man munkelt, dass dies keinesfalls nur aus fachlichen Gründen passiert ist. Es scheint einen Zwischenfall mit einer Patientin gegeben zu haben, die ihn nach der Hypnose umarmt hat. Um nicht genauso wie sein Freund und Wegbegleiter Joseph Breuer zu enden, der seine Gefühle gegenüber einer Patientin wohl nicht im Griff hatte, beendet Freud diese Form der Arbeit und wendet sich der Triebtheorie zu.

 

Ende der 1970er Jahre prägt Milton Erickson, der Vater der modernen Hypnotherapie, das heutige Verständnis des intrapersonalen therapeutischen Tertiums. Der Therapeut wendet Rituale und Techniken an, um den Klienten zu hypnotisieren. Beide haben dabei Kontakt zum Unbewussten, das als weiser, wohlmeinender Teil innerhalb des Klienten gesehen wird. Quasi als Sichtbarmachung von Ressourcen innerhalb des Klienten. 

Die Funktion des therapeutischen Tertiums

Durch das Unterbewusstsein als dritte Instanz wird dem Klienten deutlich, dass es nicht der Therapeut ist, der heilt. Es geht nicht um den Aufbau einer Machtposition à la "Ich habe die Weisheit mit Löffeln gegessen und weiß, was Du brauchst". Es geht vielmehr darum, dem Klienten seine Selbstkontrollfähigkeit wieder zurückzugeben. Der Therapeut wird zum Wegbegleiter, Pfadfinder. Er unterstützt dabei, in Trance zu gehen, Regression sicher zu erleben, Lösungen zu finden und Integration zu erleben. 

 

Dadurch, dass der Therapeut nicht für Heilung verantwortlich ist, ist er auch von der Rolle des Ratschlägers befreit. Es lässt sich deutlich entspannter arbeiten, wenn es nicht gilt alle "Wie soll ich nur...?", "Darf ich oder nicht...?" und "Was wäre wenn...?" Fragen zu beantworten, sondern den Klienten dorthin zu begleiten, die Antworten vom Unterbewusstsein - also aus sich heraus -  zu bekommen. 

 

Der Klient lernt auf diese Weise, dass jede Menge Ressourcen in ihm stecken, auch wenn ihm das vorher nicht bewusst war. Er wird dabei unterstützt, nach und nach Fähigkeiten, die er in sich trägt, zu erkennen und zur Lösung seiner Probleme zu nutzen.

 

In der Praxis erlebe ich auch immer wieder, dass die Existenz des therapeutischen Tertiums eine Erleichterung darstellt. Besonders Klienten mit großen Selbstwertproblemen und sehr hinderlichen Lebensskriptsätzen können es prima nehmen, dass im Unterbewusstsein Fähigkeiten vorhanden sind. Sie hätten aber Probleme damit, diese Ressourcen als zu sich zugehörig und integriert zu sehen.

 

Durch das Unterbewusstsein wird alles, wofür es keine Worte gibt, alles, was verdrängt war, kommunizierbar. 

So erkläre ich das meinen Klienten

Ich erkläre meinen Klienten zunächst, dass ich es mit Milton Erickson halte und davon ausgehe, dass jeder das, was er zum Lösen seiner Probleme benötigt, bereits in sich trägt. Hilfe dabei, da ranzukommen, das, was mit den Jahren und Erlebnissen verschütt gegangen ist, wieder auszubuddeln und nutzbar zu machen im Alltag, ist das Unterbewusstsein. Das Unterbewusstsein beschreibe ich als eine Art innere Weisheit. Eine innere Instanz, die genau weiß, was zum tiefsten eigenen Wohl ist, weil sie in der Lage ist, die Dinge ganzheitlich unter allen für die Person wichtigen Aspekten zu betrachten. Eine innere Instanz, die ähnlich einem unendlichen Speicher alle Erlebnisse beinhaltet, die wir jemals erlebt haben - gute und schlechte. Eine Instanz, die zeigen kann, was bearbeitet gehört, um die aktuelle Symptomatik zu verbessern. Ich führe das Unterbewusstsein als etwas ein, was einen auch durch zum Beispiel Widerstände vor Überforderung oder emotionalen Überflutung schützt. Etwas, wo der Klient selbst in der Lage ist, Kontakt aufzunehmen. Gerne benutze ich den Satz "Fragen Sie das einfach Ihr Unterbewusstsein". 

 

Ich erkläre meinen Klienten wie oben beschrieben die Rolle des Therapeuten als Pfadfinder. Als jemand, der die Technik und den Rahmen zur Verfügung stellt, damit heilsame Prozesse entstehen können. Und ich weise darauf hin, dass strenggenommen sogar vier Teile im Raum sind: der Klient und sein Unterbewusstsein sowie der Therapeut und dessen Unterbewusstsein. 

 

Nützliche Wissensquelle für diesen Artikel war Revenstorf, D. und Peter, B. (2015): Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Berlin: Springer.

 

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