· 

Das schlimmste Feedback, das ich als Therapeutin je erhalten habe

Das schlimmste Feedback, das ich als Therapeutin je erhalten habe: Julia Georgi mit entsetztem Blick

 

Dieser Beitrag ist entstanden durch die Anregung von Cornelia Biesenthal, die zur Blogparade "Autsch - das schlimmste Feedback, das ich je erhalten habe. Feedback und Kritik - Fluch oder Segen" aufgerufen hat. Bei Cornelia dreht sich übrigens alles um das Thema Karriere- und Life Coaching. Sie als systemischer Coach und EMDR-Traumatherapeutin verhilft ihren Klienten zu mehr Selbstwirksamkeit. 

 

Die Inhalte dieses Artikels

Was ist Feedback für mich

Bevor ich den für mich schlimmsten Satz in 15 Jahren Therapeutentätigkeit verrate, erlaube mir ein paar grundsätzliche Anmerkungen. Feedback kann erst einmal positiv oder negativ sein. Angenehm oder unangenehm. Es meint für mich, einer Person die Wahrheit in Liebe zu sagen. Sprich, das was gesagt werden muss, so deutlich zu sagen, dass sie es versteht, aber dabei die Beziehungsebene zur Person zu nutzen, um keine vernichtende Kritik daraus werden zu lassen. Feedback ist für mich etwas, was nicht kränkt, sondern nur den Fokus der Aufmerksamkeit lenkt. Dies ermöglicht zudem Wachstum, wenn es die Person annehmen kann. 

Wann fühle ich mich verpflichtet, deutliche Worte zu finden

Manchmal kann man auch einfach seinen Mund halten. Mit dieser Eigenschaft bin ich allerdings nicht besonders gesegnet. Lass mich Dir ein paar Situationen aus meiner täglichen Arbeit nennen, in denen ich es als meine Pflicht angesehen habe, zu reagieren.

  • Eine Klinikkollegin hat einen Vortrag gehalten. Sie war vorher supernervös, hat eine Nacht lang nicht geschlafen. Sie hat es an dem Tag gut gemeistert. Die Menschen haben ihr zugehört. Da hatte sie verdient, ein ehrliches "Das hast Du gut gemacht, kannst Dir auf die Schulter klopfen" von mir zu hören. Auf die Frage "Hätte ich was besser machen können?" habe ich ihr dann genauso authentisch geantwortet: "Ja, ich fände den Vortrag noch besser, wenn Du mehr frei erzählen könntest. Das nimmt die Leute noch mehr mit. Aber das gelingt Dir bestimmt beim nächsten Mal."
  • Ein Klient kam bereits zum fünften Mal zur Therapiesitzung. Und er stank wie die Pest. Nach ungewaschen, nach Schweiß. So dass ich jedes Mal meinen Praxisraum lüften und beduften musste, weil es mir ansonsten peinlich gewesen wäre, den nächsten Klienten hereinzuholen. Ich habe ihm gesagt: "Herr X, hat Ihnen eigentlich schon mal jemand gesagt, dass Sie einen sehr auffälligen Körpergeruch haben?" Es stellte sich heraus, dass der Klient durch schwere Entzündungen im Nasennebenhöhlenbereich fast sein komplettes Geruchsempfinden eingebüßt hatte und es ihm einfach nicht bewusst war, wann ein Kleidungsstück miefte. Weil er unter einer ausgeprägten sozialen Phobie litt, entstand so ein doppelter Teufelskreis. Er produzierte Angstschweiß, was ihn müffeln ließ. Und parallel entfernten sich Menschen deshalb von ihm, was er jedoch so interpretierte, als würden ihn andere Personen nicht mögen. Die Rückmeldung über seinen Körpergeruch war ein wahrer Gamechanger für ihn. 
  • Eine Hypnose-Kollegin hat fachlich Mist gebaut. Sie hatte einen  - zugegeben -  sehr anstrengenden, narzisstischen Klienten. Dieser erinnerte sie sehr an ihren Vater: dominant, ich-bezogen, belehrend. Anstatt ihre Rolle klar zu sehen, ist sie ins Karpman-Dreieck eingestiegen und hat ihn zum Täter und sich selbst zum Opfer gemacht. Es folgte eine offene, für alle Parteien sehr nervenaufreibende und kränkende Auseinandersetzung - mit dem Ergebnis, dass der Klient die Therapie abbrach. Kurz nach dem Ereignis nahm die Kollegin mein Supervisionsangebot an. Darin konnte ich ihr klarmachen, dass sie einen fachlichen Fehler begangen hat, mit dem sie ihrem Schutzbefohlenen geschadet hat - soviel Selbsterkenntnis muss sein. Wir besprachen, wie sie noch einmal auf ihn zugehen kann. Und vor allem arbeiteten wir ihre Vater-Beziehung auf. 

Meine goldenen Regeln für gelungenes Feedback

Über allem steht für mich der Sinn und Zweck, dass jemand etwas davon haben soll, wenn ich ihm eine Rückmeldung gebe. Um den Nutzen zu garantieren, ist es wichtig, dass meine Botschaft klar verständlich ist, ohne Ausflüchte und Rumeiern. Sinnvoll ist es, wenn ich eine Lösung aufzeigen kann, den Weg dorthin kenne oder zumindest bereit bin, mich bei Bedarf mit der Person zusammenzusetzen und genauer über die gefeedbackte Situation zu sprechen.

 

Damit derjenige meine Rückmeldung überhaupt annehmen kann, sollte sie in einem wertschätzenden Rahmen stattfinden. Sprich: Ist es etwas Unangenehmes, was ich zu sagen habe, tue ich das nicht vor anderen Menschen. Dazu spreche ich nie von oben herab, sondern begebe mich auf die gleiche Ebene. Wenn ich merke, es kommt überhaupt nichts an von dem, was ich sagen möchte, höre ich auf damit, zwangsbeglücken zu wollen. Es sei denn es ist Gefahr im Verzug. 

 

Und eine Sache ist mir super wichtig: Alles was ich sage, muss authentisch sein. Ich hasse übermäßige, unangemessene Lobhudelei. Und aus Angst davor, nicht mehr gemocht zu werden nachdem ich meine Meinung gesagt habe, ziehe ich auch keine Schleimspur hinter mir her. Mir ist wichtig, dass es immer meine eigenen Worte und eigenen Ansichten sind, die ich da vertrete - nicht die einer anderen Person, die nur zu feige ist, selbst die Stimme zu erheben. 

Mein schlimmstes Feedback und warum mich das so sehr getroffen hat

Und jetzt kommt der große Moment: Ich verrate Dir, welcher Satz mich so richtig von den Füßen geholt hat. Zu dem Zeitpunkt war ich wenig über zwei Jahre als Psychologin tätig und arbeitete als eine von drei Psychologinnen in einer psychosomatischen Klinik. Einzelgespräche, Gruppentherapien, Entspannungstrainings waren mein täglich Brot. Und eben diese Intervisions-Runden mit zehn, zwölf Leuten, die dazu da waren, dass man nicht mit blinden Flecken herum läuft und damit Patienten schadet. 

 

In so einer Runde klatschte mir eine Kollegin quasi im Vorbeigehen den Satz "Du wirst immer mehr die typische Psychologin" um die Ohren. Jetzt magst Du Dich vielleicht fragen, was daran so schlimm ist und Dein innerer sadistischer Beobachter ist vielleicht sogar etwas enttäuscht, dass der Satz nicht noch reißerischer und blutiger daher kommt. Aber lies weiter, was er mir bedeutete. 

 

 

Rote Couch als Sinnbild für Psychotherapie
Die rote Couch - spätestens durch das gleichnamige Buch von Irvin Yalom das Sinnbild für psychoanalytische Therapie. Die Frage: Und wo ist jetzt ihre Couch hat mich schon immer genervt. Deshalb habe ich keine!

 

Für mich gibt es nichts Schlimmeres als "typische Psychologin" sein. In meinem Kopf entsteht da das Bild einer ziemlich schrulligen, langen Röcke tragenden, ewig alleinstehenden Frau, die selbst mehr Probleme hat als ihre Patienten. Die gelangweilt ihre Brille ganz weit unten auf der Nase trägt, jede Person mit ihrem Blick seziert und dabei scheinbar verständnisvoll mit dem Kopf nickt. Deren Leben nur aus Arbeit besteht - und vielleicht noch der pflegebedürftigen Mutter. Ich sehe eine Couch vor mir und denke an Psychoanalyse. Ich rieche Räucherkerzen, die den Knoblauchduft des vorherigen Abendessens im Raum übertünchen sollen. Ich höre, dass auf jede Frage eine Gegenfrage kommt. Ich nehme wahr, dass oft das Lehrbuch befragt wird, anstatt selbst Ideen zu entwickeln. Ich spüre kein Feuer, kein Brennen für die Tätigkeit. Nur Routine. Leere irgendwie. So will ich auf keinen Fall sein!

 

Ich hatte schon sehr früh in meiner Psychologenlaufbahn den Ruf, anders zu sein. Und bin stolz darauf. Ich bin nie den direkten, leichten Weg gegangen. Auch was meine Ausbildungen angeht nicht. Ich wollte mich distanzieren von einer kassenzugelassenen Ausbildung wie etwa Verhaltenstherapie, um mich nicht in ein Schema pressen zu lassen. Und habe mich für Kunsttherapie und später Hypnotherapie entschieden. Ich habe mich immer als den "erfahreneren Klienten" gesehen, nie als den weisen Therapeuten. Wenn es für einen Menschen leichter war im Gehen zu sprechen, ohne Augenkontakt, bin ich mit ihm spazieren gegangen anstatt beim Gegenübersitzen schweigend darauf zu warten, bis die Stunde vorbei ist. Ich zeige mich nahbar und stehe dazu, dass auch Persönliches (nicht zu verwechseln mit Privates) seinen Platz in der Therapie hat. 

 

Neben dem Inhalt des Satzes traf mich natürlich auch die Situation: vor der großen Runde, wo alle Augen auf mir ruhten. Zu sehr war ich in Emotion verstrickt um gleich sinnvoll antworten zu können. Und die Intention dieses Satzes blieb unklar. Was wollte sie mir damit sagen? Ich erlebte das als Angriff auf mein "Wer" nicht als Feedback auf mein "Wie". Und das machte den Unterschied!

 

Klären ließ sich die Situation damals übrigens nicht. Aber sie hat mich bestärkt darin, MEINEN Weg zu gehen. Insofern war der Satz letztendlich ein Segen.

 

Wo hast Du Dein schlimmstes Feedback bekommen? 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Cornelia Biesenthal (Montag, 24 Oktober 2022 10:00)

    Liebe Julia,
    deine goldenen Regeln zum Thema Feedback bringen es auf den Punkt. Darin stimme ich dir voll und ganz zu. Konstruktives Feedback sollte für den Empfänger wertvoll sein. Es sollte nicht als Vorwand dienen, verletzte Gefühle oder Wut des Senders zu verarbeiten. Dazu wird Feedback leider viel zu oft zweckentfremdet. Danke für diesen tollen Artikel

  • #2

    Julia Georgi Hypnosefortbildung (Montag, 24 Oktober 2022 10:06)

    Sehr sehr gern liebe Cornelia. Deine Blogparade hat mich angeregt, über ein echt wichtiges, für mich immer noch aktuelles Thema nachzudenken.